Stadtbibliothek Stuttgart
Die Stadtbibliothek Stuttgart ist wohl eine der meist fotografierten Bibliotheken Deutschlands. Bei meinem Besuch dieses Hauses liefen ca. 30% der Menschen mit Kameras und Smartphones, anstatt Büchern durch die Räume, um nach dem besten Selfie-Aufnahmeort zu suchen. Als großer Bibliotheken- und Architektur-Liebhaber ist dieser Umstand allerdings nicht abschreckend. Ich habe es als Herausforderung gesehen, dieses berühmten Haus aus der Feder des Architekten Eun Young Yi mit meinem eigenen fotografischen Stil einzufangen.
Selten kommt bei meiner Arbeit eine Schwarzweiß Umwandlung zum Einsatz. Bei der monochromen Fassade der Bibliothek habe ich jedoch nicht das Gefühl, dass die fehlende Farbe dem Bild etwas wegnimmt. Im Gegenteil, in dieser Aufnahme liegt der gesamte Fokus auf dem harten Wechsel aus schwarz und weiß. Die gleißende Mittagssonne arbeitet die Kantigkeit des Kubus wunderbar heraus und fokussiert auf die repettitiven Quadrate, die sich in unterschiedlichen Größen über die Hauswände verteilen.
Bei meinen Recherchen zu dem Gebäude bin ich fast ausschließlich auf Bilder des großen Lesesaals gestoßen und war nicht wenig überrascht, als ich mich direkt nach dem gedrungenen Eingang in einem Entrée wiederfand, welches sich über vier Etagen erstreckt. Auch hier geben die Quader, unaufdringlich und dennoch unübersehbar, den Ton an. Es ist ein andachtsvoller Raum, der die unverkennbare Macht des Wissens spürbar macht.
Die beliebteste Perspektive der Stadtbibliothek Stuttgart ist diese Zentralperspektive des großen Lesesaals mit seinen wunderschönen Treppenaufgängen. Nachdem ich dieses Motiv bereits in allen erdenklichen Lichtstimmungen und Bearbeitungen gesehen habe, stellt sich mir die Frage der Neuinterpretation. Während ich die Kamera und das Stativ aufbaute, vielen mir die Lichtspots der Sonne auf, die eine Vielzahl von rechteckigen Reflexionen auf den Oberflächen des Raumes erzeugen. In meinen Zeitraffer-Videos nutze ich solche Lichtstimmungen gern, da man sie mit einem bestimmten Aufnahmeverfahren in Bewegung versetzen kann. Also wurde aus dem Foto kurzer Hand ein ultra hochauflösendes 8K Video, in dem Licht und Besucher dem ansonsten ruhenden Raum Leben einhauchen.
Mit meinem nun erweckten fotografischen Spieltrieb suche ich nach weiteren Möglichkeiten diesen Raum aus einer neuen Perspektive zu zeigen. Ein Blick nach oben in den Raum hinein, erinnert mich an die majestätischen Kirchenkuppeln, die ich gern senkrecht nach oben fotografiere. Um diesen Aufnahmewinkel zu erzielen, gab es nur eine Herausforderung: um mich mittig in den Raum zu stellen, muss ich mich auf das gläserne Deckenfenster des Entrées stellen. Eine kurze Absprache mit dem Hausmeister der Stadtbibliothek findet eine Lösung. Kurzerhand legen wir eine Leiter über das Glasfenster auf die steinernen Sockel ab. Mit meiner Kamera und einem Stativ robbe ich mich langsam vorwärts und lege mich rücklings auf die Leiter. Mit dem Stativ über mir schwinge ich die Kamera mit einem weitwinkligen 15mm Shift-Objektiv 360° um seine eigene Achse und fotografiere acht Einzelfotos, um daraus später ein Panorama zu erstellen.
Auch die Bildbearbeitung ist bei diesem Bild kein leichtes Unterfangen. Durch den extrem großen Bildwinkel kommt es zu Verzerrungen, welche beim Zusammensetzt der Bilder nicht automatisch behoben werden. Also habe ich die Geländerstangen händisch aneinander angeglichen und die Menschen, die sich während der Aufnahme durch das Bild bewegten, herausretuschiert. Dieses, auf den ersten Blick sehr simple Foto, war das herausforderndste Bild des Jahres, aber auch seine Arbeit wert.
Den Abschluss dieser Fotoserie macht ein sehr lebendiges Bild. Die Stadtbibliothek Stuttgart ist ein lebendiger Ort der Wissensvermittlung und zieht nicht nur wegen seiner Architektur, sondern natürlich vordergründig auf Grund seiner Vielzahl an Büchern eine große Menge an Besuchern an. Die Suche nach neuem Wissen soll dieses Motiv visualisieren.